Ich habe seit Ewigkeiten kein Konzert mehr besucht. Früher habe ich das öfter getan, habe mit einer guten Freundin von damals hauptsächlich Visual Kei Bands live gesehen und einmal auch Die Ärzte. Irgendwann endete das plötzlich. Plötzlich hatte ich irgendwie niemanden mehr für gemeinsame Konzertbesuche. Mit der Freundin von damals habe nur noch selten Kontakt und obwohl unsere Musikgeschmäcker nicht vollkommen unterschiedlich sind, haben wir keine gemeinsamen Lieblingsbands mehr. Wir lieben beide Buck Tick, aber die kamen nie nach Deutschland und leider, leider - es ist eine Tragödie - weilt Atsushi nicht mehr unter den Lebenden. Meine Freundin jedenfalls entwickelte ihren Musikgeschmack in Richtung Gothic (was mir ab und zu auch gefällt) und ich in Richtung Metal.
Das sind aber alles alte Kamellen. Denn wen habe ich jetzt? Meine Ehefrau, die auch auf Metal steht! Und einen guten Freund, der so lieb und großzügig war, uns zu meinem Geburtstag zwei Tickets für Arch Enemy zu schenken! Das ist nämlich - ich glaube, man kann ruhig sagen - meine Lieblingsband. Und ich habe sie zu meiner Scham nie zuvor live gesehen. Und nun gab es die Gelegenheit und das war ganz schön aufregend.
Trotzdem hatte ich einen inneren Konflikt. Ich war total glücklich über die Tickets und die Aussicht, Arch Enemy live sehen zu können. Ich habe fast geheult, als ich den Umschlag öffnete und die Karten das erste mal in der Hand hielt. Das war eine komplette Überraschung. Die erste Euphorie wurde in den späteren Monaten ein wenig von Zweifeln, Sorgen und Ängsten überschattet. Das Timing für einen Konzertbesuch war nicht ideal: im Praktikum viel zu tun, der Tag des Konzerts war ein ganz normaler Arbeitstag, ich fühlte mich generell müde und überlastet, wir würden mit dem Zug fahren müssen und darauf hoffen, noch in der selben Nacht einen Zug zurück zu erwischen doch wie lange das Konzert dauern würde, war ungewiss. Leider war es uns nicht möglich, noch ein Hotel zu buchen, jegliche auch nur einigermaßen bezahlbare Hotels waren längst ausgebucht. Hätten wir in der Nähe übernachten können, hätte mir das schon Einiges an Stress genommen. Ein paar Tage vor dem Konzert hatte ich mich dann einigermaßen wieder eingekriegt und war etwas zuversichtlicher, dass es ein guter Abend werden würde und wir das schon alles hinbekommen.
Anfahrt
Wir mussten den Freitag beide früher Feierabend machen, um rechtzeitig losfahren zu können. Im heimischen Bahnhof haben wir bei Vincent Vegan gegessen, das war sehr lecker. Danach konnten wir gleich zum Zug - der stand sogar schon da, als wir zum Gleis kamen und wir konnten uns Sitzplätze sichern. Zum Glück, denn später wurde es etwas voll. Wir kamen mit ein paar Minuten Verspätung an, aber das konnte uns egal sein, weil wir nicht umsteigen mussten. Die Fahrt an sich war entspannt und ohne irgendwelche Zwischenfälle. Wir hatten noch genug Zeit für ein Bier in Bahnhofsnähe und haben uns dann auf die Suche gemacht, die richtige U-bahn zu finden. Das Wetter war übrigens richtig mies, es regnete den ganzen Tag.
Aber in der U-bahn war es trocken und sie verspätete sich nicht. Wir mussten dann nur ein Stück bis zur Konzerthalle laufen. Aber wir konnten einfach den ganzen Metalheads folgen, die anscheinend wussten, wohin sie gehen müssen.
Die Halle war tatsächlich kleiner als ich erwartet hatte. Wie sonst auch üblich gab es eine Kontrolle am Eingang bei der man einmal abgetastet wird und jemand in die Tasche schaut. Auch hier gab es keine Probleme, wir hatten ja kaum was dabei. Drinnen gab es viele interessante Leute, Stände mit Merchandise sowie Stände mit Snacks und Getränken. Wir brauchten erstmal noch ein Bier. Und danach mussten unbedingt Arch Enemy T-Shirts her! Nach etwas Anstehzeit ergatterten wir jeweils ein T-Shirt der aktuellen Blood Dynasty Tour. Das Bier war schon wieder alle und wir wollten noch eins holen, bevor wir in den Konzertsaal gehen. Die Warteschlange für das Bier war jetzt besonders lang und wir kamen in der Wartezeit mit zwei älteren Fans ins Gespräch.
Vorbands
Als wir dann mit frisch aufgefüllten Bechern den Innenbereich betraten, fingen Amorphis an zu spielen. Eine Band, die wir vorher nicht kannten. Die Stimmung war gut und die Musik mitreißend, außerdem stellten wir dabei fest, dass wir anscheinend die erste Vorband Gatecreeper verpasst hatten. Tja…

Wir hatten schon bei Amorphis Spaß, doch danach kamen Eluveitie auf die Bühne, auf die ich mich schon gefreut hatte. Und sie enttäuschten nicht! Der Auftritt war richtig toll, genau wie die Stimmung im Saal. Jetzt fing das Hüpfen erst richtig an! Wir waren übrigens irgendwo am Rand, nicht ganz vorne, auch nicht ganz hinten. Aber mit genug Platz. Normalerweise versuche ich auf Konzerten immer möglichst weit vorne zu sein und flippe gern in der Menge mit allen anderen aus. Meiner Frau zuliebe habe ich das dieses Mal nicht getan. Sie ist ein ganzes Stück kleiner als ich und fühlt sich in der Menge eingequetscht nicht wohl - was ich verstehen kann. Wahrscheinlich könnte sie dort nichtmal etwas sehen und schlecht atmen. Ich spürte einen richtigen Drang mich nach vorne durchzuquetschen und wild zu sein, denn Konzerte waren für mich immer die einzige Gelegenheit dazu. Nachdem ich das ausgesprochen hatte, sind wir als Kompromiss ein Stückchen weiter nach vorne gegangen. Wo wir standen war es auch gut - so hatten hatten wir mehr Aufmerksamkeit füreinander und interessanterweise war gleich neben uns noch ein lesbisches Paar und vor uns ein schwules Paar.

Arch Enemy
Gegen Ende des Auftritts verspürten wir den Drang los zu laufen und auch noch schnell Eluveite T-Shirts kaufen. So haben sie uns begeistert. Und noch ein Bier. Dann kamen Arch Enemy auf die Bühne.
Alissa tobte in ihrem hautengen Anzug rum und zum allgemeinen Herumhübpfen gesellte sich Crowd Diving. Die Songs waren alle super! Natürlich sind ältere Stücke wie Nemesis immer Highlights, auch für mich. Aber auch War Eternal geht immer! Das einzig Dumme war, dass wir ein bisschen auf die Zeit achten mussten. Es wurde fast 23 Uhr und wir wollten wirklich den Zug um 0.20 Uhr haben. Der nächste wäre danach erst nach 4 Uhr gefahren und so lange wollten wir uns nicht dort aufhalten. Darum haben wir uns schonmal auf uneren Abgang vorbereitet und mussten leider während des Auftritts schonmal zur Toilette. Zu meinem großen Bedauern und Ärgernis haben wir dabei No Gods, No Masters verpasst - das ist mein Lieblingssong… Damit endete das Konzert.

Ausnahmseise mit Gesang:

Rückfahrt
Wir holten unseren Krempel von der Garderobe ab, folgten den Metalfans zurück zur Haltestelle und erwischten unseren Zug pünktlich. Im Zug war es ziemlich leer, wir waren sehr müde und meine Frau ist doch tatsächlich eingeschlafen. Das habe ich nicht geschafft, aber ist vielleicht auch besser so. Von Heimatbahnhof aus mussten wir dann ein Taxi nach Hause nehmen, weil keine Bahn mehr fuhr, die uns ans Ziel gebracht hätte. Außerdem regnete es in Strömen.
Zusammengefasst
Das Konzert war super, mega, ultra toll. Arch Enemy, aber auch die Vorbands - besonders Eluveitie. Wir waren hinterher richtig erledigt, aber gleichzeitig froh, dass wir das zusammen erlebt haben. Wir sind beide sehr vernünftig und keine von uns hätte dieses Konzert besucht, wenn wir nicht die Tickets geschenkt bekommen hätten. Wir hätten auf den „richtigen Zeitpunkt“ gewartet - aber wer weiß, wann und ob überhaupt das gewesen wäre. Ich bin sehr dankbar, dass wir durch meinen Freund so zur Unvernunft gebracht wurden. Es war toll, die Band(s) in echt zu sehen - Alissa natürlich, sie war toll und energiegeladen wie ich erwartet hatte aber auch der Rest der Band. Sie haben richtig gut performt, die Gitarren waren ein Genuss. Ich habe gemerkt, wie sehr es mir gefehlt hat, auf einem Konzert dieser Art zu sein. Ich muss zum Abschluss auch anmerken, dass das Publikum sich überraschend gut benommen hat. Ich sage das ohne böse Vorurteile, aber ich bin von vorherigen Konzerten tatsächlich eine wildere Audienz gewöhnt, es gab nicht einmal einen Mosh Pit und alle waren sehr rücksichtsvoll. Ich hoffe, in nicht allzu ferner Zukunft wieder eine geliebte Band live sehen zu können.
